Donnerstag, 11. Juni 2009

Prolegomena zu einer möglichen Weltbetrachtung

Hinter der hochtrabenden Überschrift verbirgt sich nicht mehr als die Absicht, einige Gedanken daran zu verschwenden, was für Axiome man sinnvollerweise voraussetzen sollte, um nicht einfach in einem radikalen Skeptizismus steckenzubleiben. Daß man (zumindest meiner Meinung) über diesen nicht hinausgelangt, wenn man Wert auf absolute Gewißheit legt, hatte ich ja schon in knapper Form dargelegt. Das bedeutet natürlich auch: mit jeder Annahme, die man als Axiom zugrunde legt, entfernt man sich weiter von dieser absoluten Gewißheit. Das läßt sich aber aushalten.

Als erstes Axiom bietet sich natürlich an:

1. Es existiert eine Außenwelt (die Welt der physikalischen Objekte), die unabhängig von unserem Bewußtsein und damit von unserer Innenwelt ist.

Von dieser unbeweisbaren Aussage dürfte wohl jeder (vernünftige) Mensch innerlich überzeugt sein, daher erscheint es mir nicht übertrieben, sie axiomatisch vorauszusetzen.

Allerdings steht, wenn man allein von der Gültigkeit dieses Axioms ausgeht, noch lange nicht fest, daß man etwas über die Welt erkennen kann. Es bestünde immer noch die Möglichkeit, daß zwar eine Außenwelt existiert, mit unserer Innenwelt aber gar nichts zu tun hat. Die Außenwelt könnte auch so unstrukturiert sein, daß man keine sinnvolle Aussage über sie machen kann. Kurz und gut, es müssen noch weitere Axiome gelten, damit Erkenntnisse über die Außenwelt überhaupt möglich sind.

So ist die Aussage, daß die Außenwelt geordnet, also bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist, nicht selbstverständlich. Dazu will ich mal einige kritische Punkte zunächst überspringen und für den Moment schon mal davon ausgehen, daß wir - wenn auch nur auf indirekte Weise - die Welt wirklich beobachten und insbesondere auch vermessen können (auch dies muß man tatsächlich voraussetzen, aber das hole ich noch nach). Auch dann kann man sich immer noch nicht sicher sein, daß es so etwas wie Naturgesetze überhaupt gibt - denkbar, wenn auch alles andere als plausibel, wäre auch, daß nur ein sonderbarer Zufall (oder vielleicht eine Einwirkung von außen, etwa durch ein höheres Wesen) dafür sorgen, daß die Planeten auf ihren Bahnen bleiben, daß elektromagnetische Kräfte gelten und Salzsäure und Natronlauge sich zum bekannten Kochsalz verbinden. Das ist bislang zwar immer so gewesen - es könnte rein theoretisch aber morgen ganz anders sein.

Nun wirkt diese Annahme allerdings auch reichlich willkürlich, und sie ist auch nicht gerade einfach, denn die bisherigen (gleichmäßigen) Abläufe im Universum durch die Gültigkeit immergeltender Naturgesetze zu erklären, ist auf alle Fälle einfacher als die Annahme sonderbarer Launen der Natur, die bislang nur deshalb so regelmäßig abgelaufen sind, um uns hinters Licht zu führen. Daher möchte ich mich noch weiter vorwagen und auch von dem folgenden Axiom ausgehen:

2. Die Abläufe in der Außenwelt sind Gesetzmäßigkeiten unterworfen, die man als Naturgesetze bezeichnen kann.

Nun müssen allerdings die zuvor offen gebliebenen Probleme der Weltbeobachtung noch unter die Lupe genommen werden. Insbesondere geht es dabei um das Problem unserer Weltwahrnehmung und daraus folgender Welterkenntnis.

Dabei scheint es nicht übertrieben zu sein, zu behaupten, daß unsere Sinnesorgane die "Vermittler" zwischen der Außenwelt und unserer Innenwelt darstellen. Soll heißen: Dinge, für die uns Sinne fehlen, haben auch keine gefühlte Entsprechung in unserer Innenwelt. Wir können zwar in Träumen Bilder sehen, zu denen es keine Entsprechung in der Außenwelt gibt, die demnach also Produkte unseres Gehirns sind, und diese Traumbilder können in den verschiedensten Farben auftreten - doch gilt das auch für einen von Geburt an Blinden? Wohl kaum - leider kenne ich keine konkreten Schilderungen der Träume von Geburt an Blinder, doch ich bin mir eigentlich sicher, daß es in deren Träumen zwar jede Menge Töne, aber eben keine Bilder gibt. Umgekehrt gibt es keinen Sinn für Röntgenstrahlung - und in der Tat träumt man auch nicht von einem Sinneseindruck, der durch Röntgenstrahlung ausgelöst würde.

Es liegt also nahe, daß unsere Sinnesorgane uns insofern eine Eindruck von der Außenwelt der physikalischen Objekte vermitteln, daß sie durch tatsächliche Prozesse (das Einfallen von Licht beim Sehvermögen, Schwingungen der Luft beim Hören) oder auch einfach Objekte (wenn man einen Gegenstand berührt und der Tastsinn angesprochen wird) dazu gebracht werden, ein Signal in unser Gehirn weiterzuleiten. So entsteht aus den Sinneseindrücken ein Abbild der Welt in unserem Kopf, freilich ein stark eingezäuntes Abbild, denn so lösen die weitaus meisten Formen elektromagnetischer Wellen eben keinerlei Reaktion unsere Sinnesorgane aus.

Was kann man noch über die Sinneseindrücke annehmen? Sinnvoll dürfte auch noch die Annahme sein, daß unsere Sinnesorgane unserer Umwelt angepaßt sind - wir nehmen vor allem Phänomene wahr, die für uns (uns vor allem unser Überleben) besonders wichtig sind. Auch dies ist plausibel, denn ein Sinnesapparat, der vollkommen untauglich wäre, um sich in der direkten Umgebung zurechtzufinden, wäre wohl ein Garant für eine extrem geringe Lebenserwartung. (Eine Nebenbemerkung: wenn man von einem auf die Umweltbedingungen abgestimmten Staatsapparat ausgeht, ist damit noch nicht gesagt, warum der Sinnesapparat so angepaßt ist: er könnte bewußt so geschaffen sein, das wäre die Gotteshypothese, oder das Ergebnis eines allmählichen evolutionären Prozesses, was die Theorie ist, die ich für die weitaus überzeugendere und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zutreffende halte.) All dies zusammen ergäbe also ein weiteres Axiom:

3. Unsere Sinnesorgane werden von bestimmten Prozessen oder Objekten der Außenwelt angeregt und leiten Signale weiter, aus denen dann die Sinneseindrücke unserer Innenwelt werden. Dabei ist die Leistungsfähigkeit unserer Sinnesorgane allerdings begrenzt, da sie nur auf wenige Vorgänge der Außenwelt überhaupt reagieren; diese Bereiche ihrer Aufnahmefähigkeit sind aber an unsere Umwelt (gut) angepaßt.

Wenn man dieses Axiom auch noch akzeptiert, wäre mit den Sinnesorganen eine Verbindung zwischen der subjektiven Innen- und der objektiven Außenwelt gefunden. Eine beschränkte und auch nicht immer zuverlässige Verbindung allerdings (man denke nur an die Wirkung mancher Drogen). Das nächste, vielleicht noch schwierigere Problem wäre nun aber, wie unser Verstand, d.h. vor allem unser Gehirn diese Sinneseindrücke auswertet und so überhaupt erst die Innenwelt modelliert, zu der eben auch neben konkreten Eindrücken und Gefühlen auch abstrakte Gedanken gehören können.

Wenn man sich anschaut, wie die Auswertung der Sinneseindrücke bei Tieren abläuft, spielen die berühmten Instinkte auch eine große Rolle - offenbar bestimmte Programme, die angeboren und ähnlich wie die Sinneseindrücke selbst auf die Umwelt eines Tiers abgestimmt sind (auch dies als Ergebnis eines evolutionären Prozesses, zumindest nach meiner Auffassung und der aller ernstzunehmenden Biologen). Je weniger entwickelt Bewußtsein und individuelles Denken entwickelt sind, desto größer ist dabei offenbar die Rolle, die die Instinkte spielen.

Die menschliche Wahrnehmung und das menschliche Verhalten sind im Vergleich dazu deutlich weniger instinktgesteuert. Offenbar tragen wir in unseren Köpfen nur noch wenige fertige Verhaltensprogramme herum, haben dafür aber angeborene Instrumente zur Verfügung, die es uns ermöglichen, Sinneseindrücke auszuwerten. Daraus ergibt sich als weiteres Axiom:

4. Neben unseren Sinnesorganen, die auf Vorgänge in der Außenwelt ansprechen, sind wir mit einem Gehirn ausgestattet, das Instrumente bereitstellt, die Sinneseindrücke zu analysieren.

Was für Instrumente sind das? Ich würde hier vor allem das Gedächtnis, die Fähigkeit zum Vergleichen und die zum Abstrahieren nennen. Ohne Gedächtnis wäre es weder möglich, zu erkennen, daß ein bestimmter Sinneseindruck schon früher einmal wahrgenommen wurde, noch, das Gegenteil davon festzustellen. Das Gedächtnis allein aber ermöglicht noch kein Vergleichen, ist aber die Voraussetzung dafür. Das Vergleichen der mit bestimmten Objekten verbundenen Erfahrungen wiederum ermöglicht das Abstrahieren, zu dem insbesondere das Erkennen bestimmter Klassen (so etwa Raubtieren und Pflanzenfressern) zu zählen ist. Die Bedeutung des Abstrahierens ist wohl kaum zu überschätzen: während ein einfaches Tier (nehmen wir mal einen Hahn) Warnprogramme vor natürlichen Feinden (etwa ein Wiesel) mit sich herumträgt, sind menschliche Gehirne in dieser Hinsicht wohl weniger stark vorprogrammiert. Dafür können sie aber Erfahrungen so beurteilen, daß sie bestimmte Muster zu erkennen in der Lage sind und so einen Vorteil haben, wenn sie mit einer veränderten und ungewohnten Situation konfrontiert werden. (Das funktioniert freilich nicht immer: manchmal kann eine Situation so fremdartig sein, daß sie zu keinem bekannten Muster paßt, und manchmal kann der Verstand uns auch in die Irre führen, daß er ein vermeintliches Muster dort zu erkennen meint, wo es gar keins gibt.)


Mit diesen Verstandesfähigkeiten ist aber auch - immer die Gültigkeit der aufgeführten Axiome vorausgesetzt - ein Weg vorgegeben, etwas über die Gesetzmäßigkeiten der Außenwelt herauszufinden: durch die Auswertung gesammelter Erfahrungen ist es möglich, im Zuge eines Abstraktionsprozesses Hypothesen über jene Gesetzmäßigkeiten zu formulieren und diese wiederum zu überprüfen, indem man verschiedene Experimente durchführt und festhält, ob deren Ergebnisse im Einklang mit der Hypothese sind. So läßt sich ein Prozeß der Modellierung einleiten, der zu einer allmählichen Verbesserung der Hypothesen führen wird. Dies ist im Prinzip das Vorgehen der Naturwissenschaften, vielleicht werde ich später noch etwas mehr dazu schreiben. Wichtig ist mir hier aber eine andere Konsequenz: wenn man von der Gültigkeit der obigen Axiome ausgeht, dann ist es möglich, mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden ein Abbild der Welt zu modellieren, das sich in einem allmählichen Prozess immer weiter verbessern läßt. Sollte dagegen das zweite Axiom (oder gar das erste) nicht erfüllt sein, wäre dieses Vorgehen fruchtlos, dann aber ist auch von bloßem Nachdenken kein wirklicher Erkenntnisgewinn zu erwarten. Das bedeutet aber: wenn man von einer Weltordnung ausgeht, die wirkliche Welterkenntnis ermöglicht, dann sind auch die naturwissenschaftlichen Methoden dabei ein sinnvolles Instrument - das bedeutet aber andererseits, daß eine Philosophie, die ernstgenommen werden will, sich nicht den Luxus leisten kann, naturwissenschaftliche Kenntnisse einfach zu ignorieren.

Ob die Methoden der Naturwissenschaft auf alle philosophischen Fragestellungen mit Nutzen anwendbar sind, das ist noch mal eine andere Frage, so bin ich zumindest nicht jeder Art der Metaphysik von vornherein abgeneigt, schon deshalb, weil eigentlich die aufgeführten Axiome auch schon eine Art von Metaphysik darstellen. Doch eine Philosophie im luftleeren Raum, die sich um Ergebnisse der Naturwissenschaft überhaupt nicht kümmert, halte ich für obsolet.

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