Mittwoch, 15. Juli 2009

Zur Wissenschaft

Ich habe bisher recht viel von der Wissenschaft gesprochen, doch eigentlich bezogen sich meine Ausführungen immer nur auf einen Teil der Wissenschaft, vor allem auf die Naturwissenschaft und dann noch auf Wissenschaften wie vielleicht die Wirtschaftswissenschaft, eventuell auch die Soziologie und Psychologie, ganz bestimmt aber nicht solche Zweige der Geisteswissenschaft wie Literaturwissenschaft oder Rechtswissenschaft. Die passen nämlich gar nicht so recht in mein Raster hinein, wie ich nun endlich einmal zugeben möchte.

Es sind also in erster Linie Naturwissenschaften, die ich im Blick habe, wenn ich hier über Wissenschaften schreibe, aber eben nicht ausschließlich diese. Über die Arbeitsweise dieser Wissenschaften habe ich ja schon einige Worte verloren und hoffe nun, meinen Lesern nicht allzuviel an Redundanz zuzumuten, schließlich ist das hier keine heilige Schrift (heilige Schriften zeichnen sich unter anderem durch ihr enorm hohes Maß an Redundanz aus).

Ich hatte schon erwähnt, daß man häufig anfangs von idealisierten Annahmen ausgeht, um überhaupt erst einmal grundlegende Erkenntnisse zu gewinnen, und dann anschließend die so entstehenden Theorien verbessert, indem man sie schrittweise der Realität anpaßt. Dazu vielleicht ein paar Beispiele: in der Thermodynamik gibt es denn Begriff des idealen Gases. Mit diesem beschreibt man zwar kein reales Gas wirklich (wobei aber gerade Edelgase dem idealen Gas schon recht nahe kommen), aber man gelangt trotzdem zu einer sinnvollen ersten Theorie, die sich dann verbessern läßt, indem man sie so modifiziert, daß man eine Theorie der realen Gase bekommt. Warum dieser Umweg? Einfach deshalb, weil dieser Weg einfacher zu begehen ist, als sofort mit dem realen Gas zu beginnen (daher spielen solche Vereinfachungen und Idealisierungen auch besonders in der jeweiligen Fachdidaktik eine große Rolle, so wird im schulischen Physikunterricht etwa der Einfluß der Reibung in der Luft gern ignoriert, einfach deshalb, weil die Berechnungen ansonsten für Schüler zu schwierig wären.

Auch andere Wissenschaften kennen solche Vereinfachungen, so etwa die Volkswirtschaft den idealen Markt. Auch hier hat man es mit einer Wirklichkeit zu tun, deren Komplexität zunächst so unüberschaubar ist, daß man erst man nicht weiterkommt; man entwickelt daher ein vereinfachtes Modell, das man, sobald man seine Gesetzmäßigkeiten verstanden hat, auf die Realität anwenden kann, um zu sehen, inwieweit es noch verbesserungsbedürftig ist.

Jetzt hat sich doch jede Menge Redundanz in meinen Text eingeschlichen, wohl ein Zeichen dafür, daß ich das Thema abschließen sollte. Wichtig ist aber vor allem im Zusammenhang mit den nächsten Themen: Wissenschaft ist an sich immer ein Prozeß, sie ist im Werden, selten vollständig abgeschlossen. Natürlich gibt es andererseits auch, um Mißverständnisse zu vermeiden, einen Fundus an Wissen, der mit Berechtigung als gesichtert gelten kann - und dieser wird immer größer. Umwälzende Theorien, die alles bisherige auf den Kopf stellen, sind in der Wissenschaft sehr selten (die Kontinentalbewegung wäre vielleicht ein Beispiel, daher dauerte es auch besonders lange, bis sich diese Theorie durchgesetzt hatte), normalerweise beseitigt eine neue Theorie eher Lücken der früheren und erweitert die alten Theorien, ohne sie völlig zu verdrängen.

Freilich setzt sich die Wissenschaft eben auch immer wieder mit ihren Arbeitsmethoden auseinander. Wichtig ist für die Anwendung einer wissenschaftlichen Theorie insbesondere, daß sie sich damit auseinandersetzt, an welche Voraussetzungen sie geknüpft ist: als vorbildlich kann in dieser Hinsicht die Mathematik gelten, denn in jedem mathematischen Satz wird zunächst angegeben, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit der Satz überhaupt Gültigkeit besitzt. Andere Disziplinen sind da weniger gründlich und vergessen diesen Aspekt gern, doch wenn man diesen Punkt vernachlässigt, hört Wissenschaft schnell auf, Wissenschaft zu sein: insbesondere geht dann auch ihr offener Charakter weitgehend verloren, der an sich ein wesentliches Merkmal der Wissenschaft ist. In den nächsten beiden Abschnitten werde ich dagegen auf zwei geschlossene Denksysteme eingehen, wobei es sich in einem Fall tatsächlich um pervertierte Wissenschaft handelt.