Samstag, 26. September 2009

Anmerkungen zu einem Weltbestseller

Hmm, über zwei Monate habe ich den Blog - aus verschiedenen Gründen - vernachlässigt, und eigentlich ist mein Beitrag zur Religion ja schon überfällig, aber der muß noch länger auf sich warten lassen. Was ich hier statt dessen schreiben werde, paßt aber trotzdem sehr gut, denn bei dem in der Überschrift erwähnten Weltbestseller handelt es sich um nichts anderes als die Bibel. Wobei man bei diesem Buch erst einmal sagen muß, von welcher Ausgabe man redet: ich habe die Lutherbibel in einer Ausgabe von 1967 gelesen.

Nun kann man gerade dieses Buch freilich auf ganz verschiedene Weisen lesen, und daher halte ich es erst mal für wichtig, auf diesen Aspekt einzugehen.

Im Prinzip kann man drei Hauptarten des Lesens unterscheiden:

1. Die atheistische: das ist die Art, auf die ich die Bibel gelesen habe: nicht als Heilige Schrift, sondern viel mehr als eine Textsammlung, zu der sehr viele verschiedene Autoren, die auch ganz verschiedene Intentionen hatten, etwas beigetragen haben, wobei auch die literarische Qualität stark schwankt, was vom atheistischen Standpunkt aus nicht erstaunlich ist. Dabei erzählt dieses Buch zum Teil reine religiöse Legenden (so etwa die Schöpfungsgeschichte), während andere biblische Bücher durchaus historische Wurzeln haben, wenn auch natürlich durch die religiöse Brille hindurch betrachtet und dementsprechend verzerrt.

Ich denke, dies ist die einfachste Art, die Bibel zu lesen: denn bei dieser Herangehensweise ist natürlich völlig einsichtig, warum es in diesem Buch haufenweise inhaltliche und teilweise auch gedankliche Widersprüche gibt.

2. Die fundamentalistische: auch diese Art, die Bibel zu lesen, ist einfach: demnach ist die Bibel unfehlbar und Wort für Wort wahr. Daß dies sämtlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Teil krass widersprecht (Alter der Welt etwa 6000 Jahre statt ca. 15 Milliarden!), stört den Fundamentalisten überhaupt nicht - wenn die wissenschaftliche Erkenntnis nicht mit dem Bibeltext zusammenpaßt, kann es sich ja nur um eine Lüge handeln, die vermutlich vom Satan persönlich in die Welt gesetzt wurde.

Schwierig an dieser Sichtweise sind aber die erwähnten Widersprüche: so können sich die vier Evangelisten ja noch nicht einmal darauf einigen, was Jesu letzte Worte am Kreuz waren, und die beiden bei Lukas und Matthäus zu findenden Stammbäume lassen sich auch überhaupt nicht zur Deckung bringen, um nur zwei Beispiel zu nennen - tatsächlich gibt es etliche. Aber interessanterweise scheint auch dies die Fundamentalisten nicht zu stören. Ich vermute, daß sie die Kunst des Orwellschen doublethink beherrschen und offenbar zur Perfektion gebracht haben. Ich dachte immer, das würde in Wirklichkeit nicht funktionieren - die Fundamentalisten haben mich da eines besseren belehrt. (Nebenbei: sollte sich ein Fundamentalist auf diese Seite verirren, so möchte ich ihm gleich sagen, daß er sich die Mühe, einen Beitrag, der die unbedingte Richtigkeit der Bibel belegt, zu verfassen, sparen kann, da ich keinesfalls meine Zeit mit einer Antwort darauf vergeuden werde).

3. Die dritte Art des Lesens ist die schwierigste: sie umfaßt im Prinzip alles, was zwischen den beiden anderen Arten liegt, es ist dies die Art, auf die der aufgeklärte Christ die Bibel liest. Dieser akzeptiert einerseits wissenschaftliche Ergebnisse und Theorien sowie auch den Umstand, daß es sich bei der Bibel um Menschenwerk handelt, das in vielen Generationen zusammengestellt wurde, andererseits ist sie für ihn als Christen eben auch nicht irgendein Buch. Daher wird man hier auch ein weites Spektrum an Herangehensweisen finden, von der eher traditionell kirchlichen über die kritische Exegese bis hin zu distanzierten Lesarten, die der atheistischen schon ziemlich nahekommen dürften.

Wie gesagt, ich bin auf die erste Weise an dieses Buch herangegangen. Das heißt natürlich, daß ich die Bibel nicht nur keineswegs als wahren Tatsachenbericht auffasse, wie es die Fundamentalisten tun, sondern auch in ethisch-moralischer Hinsicht für ein äußerst problematisches und janusköpfiges Werk halte, was nun wiederum insofern von Bedeutung ist, weil einem dieses Buch immer wieder mal als die denkbar wertvollste Quelle ethischer und moralischer Prinzipien vorgehalten wird, und das durchaus nicht nur von Evangelikalen und Fundamentalisten. Ich möchte gar nicht bestreiten, daß es viele wertvolle Gedanken und erhabene Stellen in diesem Buch gibt, und eine geschickte Zusammenstellung von Bibelzitaten könnte tatsächlich als ethische Richtlinie taugen. Aber man kann auch ebensogut eine lange Liste äußerst grausamer Bibelzitate zusammenstellen, in denen sich Moralvorstellungen artikulieren, nach denen kein vernünftiger Mensch leben wollte. Ich will hier (vorläufig) auf eine solche Zitatzusammenstellung verzichten, religiöse Menschen antworten darauf oft in der Form, daß sie ein anderes Zitat heraussuchen, und dann geht die große Streiterei los, ob das "gute" oder das "böse" Zitat eher als repräsentativ oder gewichtig anzusehen ist.


Soviel der Vorrede. Nun will ich endlich auf die Bibel selbst eingehen, und natürlich mit dem Alten Testament beginnen. Den gemeinsamen Nenner bei einer Anthologie zu finden, ist generell schwierig, und die Bibel als ganzes betrachtet stellt keine Ausnahme dar. Aber auch vom Alten Testament nur für sich betrachtet läßt sich mit Berechtigung ähnliches sagen, denn man findet dort Bücher, die vermeintlich (manchmal wohl auch tatsächlich) historische Begebenheiten schildern, dann wieder Sammlungen von Sprüchen oder Liedern, und schließlich noch prophetische Bücher. Trotzdem will ich einfach mal einen Versuch unternehmen: im Mittelpunkt des Alten Testaments steht der Bund zwischen Gott und dem Volk Israel, der als Bund zwischen Gott und Abraham bereits in der Genesis geschlossen wird und fortan das gedankliche Zentrum der meisten Bücher des Alten Testaments darstellt. Einerseits sind die Kinder Israel eben das von Gott auserwählte Volk, und alle anderen scheinen ihm nicht das geringste zu bedeuten, er benötigt sie nur ab und zu, um die Kinder Israel zu bestrafen, wenn sie den Bund vernachlässigt haben. Andererseits wird von ihnen absoluter Gehorsam verlangt, und so wird im Alten Testament auch kaum etwas vehementer verurteilt als der Ungehorsam. So erklärt sich übrigens auch - zum großen Teil zumindest - die erwähnte Janusköpfigkeit: denn es finden finden sich durchaus schon im Alten Testament sehr wohl Aufforderungen zur Nächstenliebe oder soziale Richtlinien, die aber offenbar nur innerhalb der Glaubensgemeinschaft, nicht aber für Heiden gelten. Diese dürfen mitunter nicht nur getötet werden, sehr oft (im Pentateuch, im Buch Josua, auch noch einmal im Buch Samuel) verlangt dies Gott sogar ausdrücklich von den Kindern Israel und gibt sehr genaue Anweisungen zum Völkermord. Ungläubige werden also von Nächstenliebe und ähnlichem mehr oder weniger stillschweigend ausgenommen.

Freilich würde wohl auch niemand das mosaische Gesetz so gern heute noch umgesetzt sehen (zumindest niemand, der einigermaßen aufgeklärt ist - manche Leute hätten sehr wohl ein Interesse daran), verlangt es doch die Hinrichtung Homosexueller, ungehorsamer Söhne und noch vieler anderer, um einige der schlimmsten Beispiele zu nennen. Doch dies soll im Moment sogar nur Randbemerkung sein, eine Randbemerkung, die allerdings nochmals unterstreicht, warum ich der Meinung bin, daß man die Bibel als ein bedeutendes Stück Weltliteratur lesen sollte, aber nicht als Richtschnur, wie man das eigene Leben zu führen hat. (Das gilt meiner Ansicht übrigens auch für das Neue Testament, aber auf dieses möchte ich dann doch lieber später eingehen.)

Nach solchen allgemeinen Anmerkungen möchte ich nun ein paar Worte über die einzelnen Bücher loswerden (wobei es mir auch um deren literarischen Wert gehen wird).

Das 1. Buch Mose, auch als Genesis bekannt, ist vermutlich das wichtigste (und inhaltlich auch bekannteste) des Alten Testaments, denn es erzählt nicht nur die biblische Schöpfungsgeschichte (die manche Schwachmaten unbedingt im naturwissenschaftlichen Schulunterricht verbreitet sehen wollen - leider gibt es solche Irren nicht nur im Amerika), sondern auch mehrere andere Legenden, und mit der Geschichte Abrahams, Isaaks, Jakobs und Josefs wird hier auch der Bund Gottes mit den Kindern Israel schon begründet.

Am Anfang steht der Schöpfungsmythos; allein vom literarischen Standpunkt aus betrachtet hat diese Geschichte unbedingt ihren Reiz. Gerade die Episode, die den Sündenfall erzählt, ist allerdings recht eigenartig, was die darin vermittelte Moral betrifft: zum ersten Mal begegnet uns hier in der Bibel der Ungehorsam als besonders verwerfliche Sünde, ja geradezu als die Ursünde überhaupt. (Das Alte Testament begnügt sich allerdings damit, mit dieser eigenartigen Geschichte den Hinauswurf der Menschen aus dem Paradies zu begründen, reitet jedoch noch nicht so genüßlich darauf herum wie später das Christentum mit seiner seltsamen Lehre von der Erbsünde, die zwar so richtig erst von Augustinus perfektioniert wurde, ihre Wurzeln aber schon im Römerbrief hat - aber damit greife ich voraus.) Aber ebenso unangenehm stößt an dieser Legende auf, daß gerade das Essen eines Apfels vom Baum der Erkenntnis hier zur Quelle allen Übels erhoben wird. Damit wird einer der unangenehmsten Züge der Religion allgemein deutlich, nämlich eben der, daß sie das Streben nach Erkenntnis durchaus nicht gutheißt, sondern vielmehr fordert, an eben die Antworten zu glauben, die sie gibt.

Ganz interessant ist die Sündenfall-Legende natürlich auch unter dem Blickwinkel des Theodizeeproblems: manche Leute behaupten ja, die Welt sei vollkommen gut gewesen bis zum Obstdiebstahl (und wichtiger, dem Ungehorsam) der Eva: selbst wenn man mal darüber hinwegsieht, daß diese Geschichte eine religiöse Legende ist, bleibt immer noch die Frage offen: wo kam dann die Schlange her? Ich will mich aber an dieser Stelle mit dieser kleinen Stichelei begnügen, das Problem der Theodizee rückt dann ohnehin noch im Buch Hiob ins Zentrum.

Auch für weitere Geschichten im 1. Buch Mose gilt, daß sie literarisch durchaus interessant sind, moralisch aber mehr als fragwürdig: solches gilt von der Sintflutgeschichte, dem in letzter Sekunde widerrufenen Befehl, den Abraham bekommt, seinen Sohn Isaak zu opfern, (auffällig daran: auch hier wird wieder besonderen Wert auf den Gehorsam gelegt!) und noch manch anderen Erzählungen. Am Ende der Genesis steht dann allerdings ein echtes literarisches Schmuckstück: die Joseph-Geschichte gehört zum schönsten und auch besten, was im Alten Testament überhaupt zu finden ist.

Im 2. Buch Mose ist die berühmte Geschichte des Auszugs Israels aus Ägypten zu finden, dem die biblischen Plagen vorausgehen. Dem nicht religiösen Leser fällt dabei allerdings auf, daß der Herr immer wieder das Herz des Pharaos verstockt, was den Verdacht aufkommen läßt, es ginge ihm vor allem darum, den Auszug aus Ägypten möglichst lange hinauszuzögern, um davor mit den Plagen zeigen zu können, was er so alles auf dem Kasten hat.

Weiter berichtet das zweite Buch Mose von der Verkündung der zehn Gebote und erzählt die ebenfalls recht bekannte Episode vom Goldenen Kalb; aus heutiger Sicht neigt man leicht dazu, dies als eine allegorische Kritik am Kapitalismus zu verstehen, doch im Zusammenhang gelesen wird klar, daß diese Episode gar nicht so gemeint war: es geht hier wirklich um das Verbot von Götzenbildern.

Nach der Verkündung der zehn Gebote ist der Pentateuch eher handlungsarm: nun werden im verbleibenden zweiten und den übrigen drei Büchern Mose vor allem allerlei Vorschriften und Gesetze verkündet, in manchen Fällen brauchbare und vernünftige Gesetze, sehr oft aber auch grausame und unzivilisierte. In literarischer Hinsicht ist es jedenfalls eine einzige Mühsal, diese Bücher zu lesen, in denen insbesondere in allen ermüdenden Einzelheiten irgendwelche Opfervorschriften verkündet werden.

Je näher die Kinder Israel dem Land kommen, das Gott ihnen versprochen hat, desto größeren Raum nehmen die Schilderungen ethnischer Säuberungen ein, mit denen die Bewohner dieses Landes kurzerhand beseitigt werden; hier zeigt sich das Alte Testament von einer seiner unangenehmsten Seiten. Ihren Höhepunkt erreicht diese Entwicklung schließlich im Buch Josua, in dem Jericho und zahlreiche andere Städte erobert und zerstört und deren Einwohner getötet werden. Die reine Schilderung der zahlreichen Massaker in diesem entsetzlichen Buch ist noch nicht einmal das schlimmste daran, denn solche Schilderungen findet man auch in anderen literarischen Werken, so etwa im Nibelungenlied, das mit einem entsetzlichen Blutbad endet. Während jedoch in den meisten anderen Kriegsschilderungen in der Literatur die Dichter immer noch (mehr oder weniger) distanziert berichten, werden die Massaker im Buch Josua als gottgewollt verherrlicht. Da kann man nur hoffen, daß es in späteren Jahrhunderten nicht mal irgendwelche neuen Heiligen Schriften geben wird, in denen Lobgesänge auf Massaker wie in Lidice, Oradour-sur-Glane, My Lai oder Srebrenica angestimmt werden. Nebenbei bemerkt gibt das Buch Josua auch unter literarischen Aspekten nicht viel her.

Sehr eigenartig ist hingegen das Buch der Richter. Auch hier gibt es zahlreiche schaurige Episoden (besonders das 19. Kapitel ist hier zu nennen) und grausame Details, aber auch eine so reizvolle Sage wie die vom Simson und Delilah. Ein Kernthema dieses Buches aber ist der wiederholte Abfall der Kinder Israel vom Bund mit Gott (für gewöhnlich lassen sie sich dann mit irgendwelchen babylonischen Baalen ein), der dann natürlich nicht ungestraft bleibt. Es sind dann die titelgebenden Richter, die Israel wieder auf den rechten Weg führen. Das Buch als ganzes wirkt recht inhomogen und läßt vermuten, daß hier verschiedene Texte zusammengefaßt wurden.

Klein, aber fein und voller Anmut ist dagegen das Buch Ruth, eines der kürzesten des Alten Testements, aber auch eines der wertvollsten. Im Mittelpunkt steht eine moabitische Frau (auch dies ist ein Novum im Alten Testament: erstmals ist eine Frau die zentrale Gestalt eines Buches), die nach dem Tod ihres jüdischen Mannes ihre Schwiegermutter bei deren Rückkehr nach Israel begleitet, dort abermals heiratet und eine direkte Vorfahrin König Davids wird.

Das 1. Buch Samuel vereint fast alle Vorzüge und Widerwärtigkeiten des Alten Testaments in einem Buch. Einerseits sind hier echte literarische Höhepunkte wie der berühmte Kampf zwischen David und Goliath oder die überaus anrührend erzählte Freundschaft zwischen David und König Sauls Sohn Jonathan zu finden, andererseits aber mit dem gräßlichen 15. Kapitel auch die vielleicht grausamste Passage der gesamten Bibel.

Das 2. Buch Samuel erzählt dann vor allem von der Regentschaft Davids als König: es enthält nicht ganz so viele Brutalitäten wie das vorige Buch, ist aber auch ärmer an Höhepunkten.

Das 1. Buch der Könige wiederum schildert vor allem die Herrschaft König Salomos; hier ist auch die Episode, die das berühmte Salomonische Urteil schildert, zu finden. Deutlich umfangreicher fällt aber die Schilderung des Tempelbaus aus, die ich persönlich als eher ermüdend empfand. Ein weiteres wesentliches Thema dieses Buches ist der Zerfall des Reiches in zwei Königreiche: Israel und Juda. Das 2. Buch der Könige handelt dann von den Taten weiteren Könige dieser beiden Reiche bis zur Babylonischen Gefangenschaft (wobei natürlich nur schwer feststellbar ist, wie nah oder weit entfernt die biblische Darstellung von den historischen Tatsachen ist); dabei folgt die Charakterisierung der verschiedenen Könige einem arg stereotypen Muster, gerade die israelischen Könige tun üblicherweise, was dem Herrn mißfällt, werden dann von ihm (meist mit ihren Nachkommen, ein Sippenhaftdenken ist im Alten Testament zwar nicht immer, aber doch an sehr vielen Stellen anzutreffen, so übrigens auch in der vollständigen Version des ersten Gebotes!) ausgerottet, wobei ihre Nachfolger es dann aber noch schlimmer treiben. Durch die häufige Wiederholung dieses Musters wird der Text in den Büchern der Könige nach einer Weile unfreiwillig komisch, zumindest für einen nicht religiösen Leser.

Die beiden Bücher der Chronik fand ich persönlich langweilig. Das erste Buch der Chronik mutet einem zunächst jede Menge Abstammungslisten zu, die zu lesen eine rechte Mühsal bedeutet; ansonsten werden in diesen beiden Büchern im wesentlich die Ereignisse der Samuel- und Königsbücher aus einer oft etwas veränderten Perspektive noch einmal erzählt (wobei im Detail Widersprüche nicht ausbleiben).

Die Bücher Esra und Nehemia schildern die Rückkehr der Israeliten aus der Babylonischen Gefangenschaft, wobei ein ausländerfeindlicher Ton an diesen Büchern auffällt: so werden alle Mischehen aufgelöst und die entsprechenden Ehepartner und daraus hervorgegangenen Kinder müssen die israelische Gemeinschaft verlassen (wobei dies angesichts dessen, was man sonst vom Alten Testament gewohnt ist, noch harmlos erscheint).

Das Buch Ester erzählt eine Geschichte mit deutlich märchenhaften Zügen, wie das Purimfest entstanden sein soll; es gilt als nicht historisch. Das Buch ist gut erzählt, die Rache der zunächst verfolgten Juden an ihren Feinden fällt dann allerdings so drastisch aus, wie man dies vom Alten Testament kennt.

Zu den herausragendsten Werken des Alten Testaments gehört dagegen das Buch Hiob. Es wird sogar zu den bedeutendsten Werken der Weltliteratur gerechnet, und dies mit gewisser Berechtigung. Während in den vorigen biblischen Büchern Leid und Unglück zumeist als göttliche Strafe für irgendwelche Verfehlungen dargestellt werden, geht es hier um einen frommen und gerechten Mann, der trotzdem vom Unglück getroffen wird - was seine "Freunde" so verstehen, daß er ja offenbar etwas auf dem Kerbholz haben müsse, womit er dieses Unglück verdient hätte. Hiob setzt sich dagegen zur Wehr. Diese Diskussion macht den größten Teil des Buches aus und wird auf literarisch hohem Niveau geführt; bemerkenswert ist dieses Buch aber auch wegen der reichlich galligen Töne, die Hiob in seiner Verzweiflung anschlägt, so macht dieses Buch eben auch deutlich, wie auch der frommste und gläubigste Mensch an der Welt verzweifeln kann. Neben dieser Haupthandlung gibt es noch eine Rahmenhandlung, die möglicherweise nachträglich hinzugefügt wurde, den Hauptbestandteil des Buches aber geschickt motiviert: demnach ist es ein Ringen zwischen Gott und dem Satan um die menschliche Seele, das hier stattfindet. Deutliche Einflüsse dieser Rahmenhandlung zeigen sich in Goethes "Faust", vor allem im "Prolog im Himmel". Vor allem aber ist dieses Buch eine sehr ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Theodizeeproblem, der Frage also, wie es in einer von einem (angeblich guten) Gott geschaffenen Welt ein so hohes Maß an Leid geben kann, das auch den Gerechten nicht verschont. Daß das Buch darauf letztlich keine wirklich überzeugende Antwort gibt, darf nicht überraschen, das wäre von einer Heiligen Schrift auch zuviel verlangt. Der Wert dieses Buches ist daher auch eher darin, daß die Frage überhaupt aufgeworfen und mit großer Eindringlichkeit behandelt wird.

Der Psalter hingegen ist eine Sammlung von 150 religiösen Liedern, wobei hier eine große Diskrepanz zwischen der oft sehr poetischen und schönen Sprache einerseits, den Inhalten andererseits auffällt - denn letztere sind in vielen Fällen eher ärgerlich, wird doch den "Gottlosen" (zu denen ich mich ja auch zähle) alles nur erdenklich schlechte an den Hals gewünscht, in etlichen Psalmen sind solche Ausbrüche zu finden. Der bekannteste Psalm ist sicherlich der Psalm Nr. 23 ("Der Herr ist mein Hirte..."); mit gewisser Berechtigung, denn es ist wohl auch wirklich der schönste, und zudem fast völlig ohne martialische Töne.

Bei den Sprüchen Salomos handelt es sich in erster Linie um eine Sammlung von Salomo zugeschriebenen Sprichwörtern, wobei ein thematischer Schwerpunkt die Erziehung ist - gerade zu diesem Thema hat das Buch aber reichlich fragwürdige "Weisheiten" zu bieten, in denen ziemlich oft von Züchtigung die Rede ist. Allerdings werden auch ganz andere Themen angesprochen (so wird etwa vor Bürgschaften gewarnt, offenbar ein ganz altes Thema...), und wie es in einer solchen Sammlung wohl nicht überraschen kann, findet sich hier so mancher sinnvolle Satz, während anderes zum Widerspruch herausfordert und oft einfach antiquiert ist.

Der Prediger Salomo hingegen ist mein liebstes Buch nicht nur des Alten Testaments, sondern der Bibel überhaupt. Kein anderes Buch der gewaltigen Anthologie steht der Philosophie näher, wobei ein skeptischer, teilweise auch pessimistischer Ton vorherrscht. Der auffallend diesseitige Text handelt von der Vergänglichkeit unseres Lebens und all unserer Werke und setzt sich mit der Frage, wie es trotzdem möglich ist, ein erfülltes Leben zu führen. Selbst ein Hardcore-Atheist wie Richard Dawkins bezeichnet dieses Buch als "erhaben", und er tut dies völlig zu Recht.

Das Hohelied Salomos ist hochpoetisch (es hat in der Liebesszene von Ecos "Der Name der Rose" deutliche Spuren hinterlassen) und handelt von einer Hochzeit, wobei diese sowohl wörtlich als auch allegorisch gedeutet worden ist. Für die Exegeten trotz seiner Kürze ein durchaus schwieriges Buch, literarisch freilich auf einem sehr hohen Niveau.

Auf die prophetischen Bücher will ich nun nicht einzeln eingehen. Diesen Büchern kommt nun innerhalb des Alten Testaments eine besondere Rolle dadurch zu, daß sie von Juden und von Christen ganz unterschiedlich ausgelegt werden. Dabei ist im Hinblick auf das Neue Testament der Prophet Jesaja (der ja auch zu den "großen" Propheten gerechnet wird) vielleicht der wichtigste, zumindest nach meiner Einschätzung.

Generell kündigt sich in den Prophetenbüchern ein neuer Bund Gottes mit Israel an (wobei verschiedenfach angedeutet wird, daß auch Heiden in diesen neuen Bund mit einbezogen werden könnten) - selbstverständlich knüpfen die Christen genau hier an und meinen, dieser neue Bund sei durch Jesus bereits geschlossen worden. Ich fände es spannend, zu verfolgen, wie ein Pfarrer und ein Rabbiner sich über diese Dinge streiten, möchte mich selbst hier aber lieber mit Deutungen zurückhalten. Die prophetischen Bücher sind sehr bilderreich (wobei es vor allem Schreckensbilder sind, durch die sie sich auszeichnen) und literarisch fraglos zumindest in einzelnen Teilen reizvoll, aber eben auch sehr dunkel, so daß hier natürlich wild herumgedeutet wird.


Damit will ich meine Ausführungen zum Alten Testament auch beschließen (ich werde ab und zu noch darauf zurückkommen) und zum Neuen Testament übergehen. Das Neue Testament nur für sich zu lesen, halte ich für vergleichsweise witzlos, denn es baut auf dem Alten Testament auf und legt es nicht selten auch aus.

Trotzdem ist der Geist des Neuen Testaments ein erkennbar anderer. Glorifizierungen von Massakern wie in manchen Büchern des Alten Testaments findet man hier nicht, dafür die christliche Lehre, die sich einerseits in den Evangelien findet und dann vor allem in den Paulusbriefen ihr theoretisches Fundament erhält. Auf den ersten Blick scheint diese Lehre weitaus sanftmütiger und in ethischer Hinsicht fortgeschrittener zu sein als etwa das Mosaische Gesetz, das im Alten Testament eine so herausragende Rolle einnimmt. Allerdings sollte man sich hier nicht täuschen lassen: auch das Neue Testament nimmt für sich in Anspruch, die allein wahre Lehre zu beinhalten, und dies sogar in schrofferer Form als das Alte Testament. Während dieses auch eher diesseitig ausgerichtet war, ist im Neuen Testament oft vom ewigen Leben die Rede, und damit einher gehen auch stets die Warnungen vor der ewigen Verdammnis, der Hölle, von der im Alten Testament so gut wie gar nicht die Rede ist. Allein schon die Idee, daß ewige Pein eine gerechte Strafe wofür auch immer darstellen könnte, ist schon ziemlich abartig. Noch schlimmer ist aber, daß diese Strafe laut Neuem Testament alle Ungläubigen erwartet, ob sie also ein anständiges Leben geführt und Gutes getan haben oder nicht, ist vollkommen gleichgültig, der Glaube ist das alleinige Entscheidungskriterium. Dies hängt mit der Rechtfertigungslehre zusammen, die vor allem im Römerbrief entwickelt wird, doch von der ewigen Verdammnis ist auch schon in den Evangelien unangenehm oft die Rede. Was daran eine "Frohe Botschaft" sein soll, ist mir ein Rätsel, für mich ist es eher das genaue Gegenteil davon. Natürlich ließe sich nun (mit gewisser Berechtigung) einwenden, daß ich vor allem so rede, weil ich mich zu den nach biblischer Vorstellung später Verdammten zu rechnen hätte. Das ist auch so, aber auch dann, wenn ich wider Erwarten doch in den Genuß himmlicher Wonne und des ewigen Lebens käme, hätte ich doch keine Freude daran, solange überhaupt jemand mit ewigen Qualen bestraft würde.

Ich muß daher zugeben, daß das ganze Verdammnisgerede und auch solche Sprüche wie "Wer nicht für mich ist, ist wider mich" (wenn erinnert das nicht an den unsäglichen George W. Bush?) mir das Neue Testament doch recht gründlich verleidet haben, so daß ich alles in allem nicht behaupten kann, es wäre in ethischer Hinsicht wirklich höher einzuschätzen als das alte Testament, es ist nur auf andere Weise grausam. Bedauerlich ist das aber allemal, denn es gibt andererseits auch sehr viel wertvolle Gedanken darin, und auch in literarischer Hinsicht hat es mitunter einiges zu bieten.

Nach solchen allgemeinen Ausführungen will ich auch hier ein wenig auf die einzelnen Bücher, zumindest die wichtigsten, eingehen. Am Anfang stehen dabei die vier Evangelien (richtiger: die vier in den Bibelkanon aufgenommenen Evangelien, es gab nämlich - wie an sich auch bekannt sein dürfte - noch andere, die nun als Apokryphen in der Kirchen- und Literaturgeschichte herumgeistern). Meine grundsätzlichen Einwände gegen das Neue Testament habe ich ja schon vorgebracht, und zum Teil sind auch die Evangelien davon betroffen. Zugleich fällt auf, daß die Evagelisten sehr unterschiedliche Akzente setzen und fraglos auch verschiedene Intentionen hatten.

Das Evengelium nach Matthäus streicht ethische Forderungen besonders heraus, wobei die (größtenteils zu Recht) berühmte Bergpredigt in dieser Hinsicht den Gipfelpunkt darstellt. Ansonsten ist Matthäus bemüht, nachzuweisen, daß alttestementarische Prophezeihungen sich in Jesus erfüllt hätten - das tun zwar alle Evangelisten, Matthäus aber mehr als die anderen (wobei er manchmal auch danebengreift, denn so heißt es von der Flucht vor Herodes nach Ägypten, die nur Matthäus erzählt, daß sich durch sie eine Prophezeiung Jeremiahs erfüllt habe, doch wer die entsprechende Stelle bei Jeremiah liest, merkt, daß es gar keine Prophezeiung ist, sondern daß sie sich auf den Auszug Israels aus Ägypten bezieht und mit dem "Sohn" Gottes dort das israelische Volk gemeint ist). Ansonsten fällt auf, daß gerade dieses Evangelium auch einen durchaus streitbaren Jesus zeigt, mit dem nicht unbedingt gut Kirschen essen ist. Und schließlich möchte ich noch den recht ausführlichen eschatologischen Anteil des Evangeliums erwähnen: daß ich diesen nicht besonders mochte, dürfte nach meinen einleitenden Worten zum Neuen Testament wohl keine Überraschung sein.

Das Evangelium nach Markus ist das kürzeste, trotzdem aber von herausragender Bedeutung, weil es das älteste ist und sowohl Matthäus als auch Lukas darauf zurückgegriffen haben. Hier wird vor allem Jesus' Leben und Tun geschildert, während im Vergleich zu den beiden Großevangelien deutlich weniger Äußerungen zu finden sind. Diese eher knappe Darstellung hat aber durchaus auch ihre Vorzüge.

Das Evangelium nach Lukas wiederum ist das mir persönlich liebste, nicht so sehr, weil es in ethischer Hinsicht den anderen etwas wesentliches voraus hätte, sondern aus literarischen Gründen. Im Lukas-Evangelium finden sich besonders viele Gleichnisse, darunter solche Schätze wie jenes vom barmherzigen Samariter. Aber auch die beliebte Weihnachtsgeschichte weist Lukas als meisterlichen Erzähler aus; daher steht für mich unter rein literarischen Aspekten betrachtet dieses Evangelium am höchsten. Interessant ist ansonsten noch, wie Lukas mit dem Problem der Naherwartung (also der Hoffnung der ersten Christen auf die baldige Rückkehr Christi) umgeht: wie schon bei Markus und Matthäus sagt Jesus auch bei Lukas zu seinen Jüngern, das Reich Gottes werde kommen, noch bevor sie alle stürben - allerdings baut Lukas an anderer Stelle eine Art Hintertürchen ein, indem Jesus sagt, das Reich Gottes komme nicht so, daß man es mit Augen sehen könne, sondern sei mitten unter ihnen.

Das Evangelium nach Johannes unterscheidet sich deutlich von den drei synoptischen Evangelien. Sein Verfasser ist, wie gleich der Beginn des Evangeliums zeigt, offenbar mit den Gedanken griechischer Philosophen in Berührung gekommen. Insgesamt konnte ich mich mit diesem Evangelium (das aber bei vielen Christen überaus beliebt ist) nicht so recht anfreunden, es zeigt einen Jesus, der fast nur von sich selbst spricht; allerdings enthält es eine der großartigsten biblischen Stellen, als Jesus die Steinigung einer Ehebrecherin verhindert. Interessanterweise wurde wohl genau diese Stelle erst nachträglich ins Evangelium eingefügt - nun, wer auch immer dies tat, hat recht daran getan, die Passage ist das beste am ganzen Evangelium. Zumindest problematisch an diesem Evangelium ist die Darstellung der Juden, die deutlich negativere Züge hat als die in den synoptischen Evangelien. Nun wäre es andererseits wohl zu stark vereinfachend, das Evangelium direkt als antisemitisch zu bezeichnen, doch es könnte zu der Entstehung des christlichen Antisemitismus, der sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Christentums zieht, zumindest beigetragen haben.

Gegenstand der Apostelgeschichte ist vor allem das Wirken der Apostel Petrus und später Paulus sowie der Beginn der Mission von Heiden. Es gilt als sicher, daß der Verfasser auch der des Lukasevangeliums ist, die Apostelgeschichte ist in der Tat als eine Fortsetzung angelegt. Trotz allerlei Berichten über irgendwelche Wunder, denen man natürlich skeptisch gegenüber stehen

sollte, hat dieses Buch wohl auch durchaus seinen historischen Wert, weshalb Lukas auch als erster christlicher Historiker angesehen wird. Etwas merkwürdig ist der Umstand, daß die Apostelgeschichte zwar die Ankunft des Paulus in Rom schildert, nicht aber von seiner Gefangenschaft und seinem Tod. Das hat manche Leute zu der Vermutung geführt, die Apostelgeschichte sei zu einem Zeitpunkt verfaßt worden, als diese Ereignisse noch gar nicht stattgefunden hätten, was aber als unwahrscheinlich angesehen wird. Ich hatte mich daher gefragt, ob Lukas vielleicht sogar ursprünglich beabsichtigt hatte, auf das Evangelium und die Apostelgeschichte noch ein drittes Buch folgen zu lassen, das dann nicht mehr zur Ausführung gelangt wäre, aber diesen Gedanken scheint kein Wissenschaftler jemals in Betracht gezogen zu haben, so daß vermutlich nicht so besonders viel dran ist.

Die Paulus-Briefe wiederum stellen vermutlich das theologische Herzstück des Neuen Testaments dar; nicht alle Paulus ursprünglich zugeschriebenen Briefe sind wohl tatsächlich von ihm verfaßt worden, doch die wichtigsten stammen wohl in der Tat von ihm. Es sind in der Tat die bedeutendsten Briefe im Neuen Testament, während die anderen (Petrus-Briefe, Johannes-Briefe, etc.) weniger prägend gewesen sind. Die Briefe des Neuen Testaments sind auch insofern interessant, daß sie Einblicke in die Entwicklung des frühen Christentums ermöglichen: so standen sich ja zunächst Juden- und Heidenchristen gegenüber, und in diesem Spannungsfeld blieben auch Konflikte nicht aus, die sich zum Teil in diesen Briefen widerspiegeln.

Der bedeutendste dieser Briefe ist sicherlich der Römerbrief. Luther hielt ihn für das wichtigste Buch der Bibel überhaupt und pries ihn in einer Vorrede, die beinahe die Ausmaße des Briefes selbst hat. Wirkungsgeschichtlich betrachtet ist Luther wohl zuzustimmen, der Römerbrief hat einige der wichtigsten Gestalten der Kirchengeschichte (und somit der Geschichte des Christentums überhaupt) maßgeblich geprägt, Augustinus wäre hier etwa zu nennen und nicht zuletzt Luther selbst.

Was nun mich betrifft, so zeigt mir gerade dieser Brief eindringlich, warum mir das Christentum innerlich immer fremd bleiben wird. Paulus entwickelt hier die Rechtfertigungslehre, und wenn er auch den Begriff der Erbsünde noch nicht direkt verwendet (erst Augustinus hat ihn, wie oben schon erwähnt, benutzt), so ist doch das Fundament dieser Lehre hier schon zu finden. Auch Ansätze der Prädestinationslehre, die ich besonders scharf ablehne, lassen sich im Römerbrief entdecken. Und ganz allgemein stößt mir sauer auf, daß eben allein der Glauben zum Kriterium (wer erlöst und wer verdammt wird) erhoben wird - was für ein Leben jemand führt, scheint dagegen keine Rolle zu spielen. (Das ist nicht ganz fair: Paulus meint eigentlich, daß die guten Werke schon von selbst kommen würden, wenn jemand wirklich glaubt, und Luther folgt ihm auch hier. Die Geringschätzung der guten Werke ist also keine vollkommene, aber sie gelten diesen Herren eben nur etwas in Verbindung mit dem Glauben, werden ohne den Glauben aber als vollkommen bedeutungslos angesehen.) Für mich zeigt gerade diese abstoßende Irrlehre, daß Feuerbach nur allzu Recht hatte, als er schrieb: "Im Glauben liegt ein böses Prinzip." Genau so ist es.

Der 1. Brief an die Korinther ist größtenteils auch nicht mein Fall, mit einer wichtigen Ausnahme: das als "Hohelied der Liebe" berühmt gewordene 13. Kapitel gehört zum schönsten und tiefsten, was im Neuen Testament zu finden ist. Wenn das Neue Testament insgesamt immer einen solchen Ton anschlüge, würde ich mich um vieles freundlicher über das Christentum äußern.

Auf die anderen Briefe will ich hier nur kurz eingehen. Der Brief an die Galater ist eine Reaktion auf die Rückkehr zu jüdischen Ritualen in der angeschriebenen Gemeinde, die von Paulus getadelt wird - solche Dokumente sind einfach insofern von Interesse, weil sie sichtbar machen, wie aus dem Christentum, das von den Römern zunächst als jüdische Sekte betrachtet wurde und im Grunde genommen auch genau dies war, eine doch eigenständige und neue Religion entstand. Die zahlreichen weiteren, zumeist recht kurzen Briefe sind eher Ergänzungen; interessant sind die Ankündigungen der Endzeit im 2. Petrusbrief (der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht vom Apostel Petrus stammt) und im Brief des Judas - beide dürften zu den spätesten Schriften des Neuen Testaments gehören. Eine Sonderstellung, und daher möchte ich ihn noch einmal ansprechen, nimmt der Brief des Jakobus ein. Dieser stellt ausdrücklich heraus, wie wichtig die guten Werke sind und schätzt dagegen einen Glauben, dem die guten Werke fehlen, eher gering. Natürlich war es genau diese Aussage, die Luther mißfiel, der ihn daher auch an eine der hintersten Stellen der Bibel verbannte; überflüssig zu erwähnen, daß ich gerade dies eher als einen Vorzug des Briefes ansehe, der zumindest ein leichtes Gegengewicht zu der in den paulinischen Briefen entwickelten Position darstellt. So sehe ich gerade dieses wenig geschätzte Buch als eines der wertvolleren des Neuen Testaments an.

Den grausigen Schlußpunkt stellt schließlich die Offenbarung des Johannes dar, die über weite Strecken so wirkt, als sei sie aus den prophetischen Büchern des Alten Testaments entsprungen. Tatsächlich ist dies eines der am schwersten deutbaren und seltsamsten biblischen Bücher, wobei der Strom von Schreckensbildern, der hier auf den Leser losgelassen wird, literarisch fraglos eindrucksvoll ist (und auch viele Meisterwerke der Malerei wurden davon inspiriert). Dabei wirken viele Motive vor allem aus dem apokalyptischen Teil des Buches Daniel vertraut, und auch manche Bilder aus dem Buch Jesaja scheinen hier ihre Spuren hinterlassen zu haben, so daß man auch von einer Christianisierung alttestamentarischer Prophezeiungen sprechen könnte. Fraglos war der Verfasser ein Judenchrist, so spielen etwa die zwölf Stämme Israels in der Offenbarung eine größere Rolle als in allen anderen Büchern des Neuen Testaments. Das Buch, das die Ostkirchen wohl nie anerkannten, ist einerseits eines der bekanntesten (das berühmte "Buch mit sieben Siegeln" ist ja längst zur Redewendung geworden, um ein Beispiel zu nennen), aber auch problematischsten, nicht zuletzt, was seine Rezeptionsgeschichte, in deren Verlauf immer wieder das unmittelbar bevorstehende Weltende angekündigt oder bestimmte Personen mit dem Antichrist identifiziert wurden, betrifft. Zuletzt wird das Ende der Welt geschildert, wobei der Teufel mit seinen Anhängern in den Pfuhl aus Feuer geworfen wird, wo sie dann gequält werden "Tag und Nacht von Ewigkeit zu Ewigkeit"; das gleiche Schicksal ereilt unter anderem dann auch die Ungläubigen. Da weiß man doch, worauf man sich schon freuen kann. Am Ende steht der eigentlich schöne Schlußsatz "Die Gnade des Herrn Jesus sei mit allen", der aber nach dem doch sehr gnadenlosen Finale, das dieses überaus finstere Buch ausmalt nicht so recht überzeugen will. Modern denkende und säkularen Menschen ist dieses Buch daher wohl auch nie so ganz geheuer gewesen, dafür lieben es die Evangelikalen und zahlreiche Sektierer.


Damit bin ich auch am Ende angekommen, und es ist wohl Zeit für ein kleines Fazit. Es lohnt sich, sich durch die 66 Bücher der Lutherbibel (die katholische Vulgata enthält wohl noch mehr) zu mühen, aus verschiedenen Gründen: zum einen gibt es literarisch vorzügliche Passagen darin zu entdecken, die einfach einen ganz eigenen Wert haben, egal, was man nun von Religion, Judentum oder Christentum hält. Daneben öffnet die Lektüre auch die Augen, was für einen ungeheuren kulturellen Einfluß die Bibel in den vom Christentum geprägten Ländern ausgeübt hat, allein die enorme Anzahl geflügelter Worte, die zu allgemeinen Redewendungen geworden sind, zeugt davon. Und nicht zuletzt ist es gerade auch für den nicht-religiösen Leser aufschlußreich, was für ein (oft totalitäres) Denken der christlichen Religion zugrunde liegt. Aus diesem Grunde taugt die Bibel freilich auch nicht als Leitfaden, wie man sein Leben führen sollte, denn wie ich schon oft betont habe, findet man neben ethisch wertvollen Prinzipien und Gedanken auch Grausamkeiten und einen bösartigen Absolutheitsanspruch; wenn man also ethische Richtlinien aus diesem Buch herausziehen will, muß man es selektiv lesen. Dies ist aber eigentlich nur dann möglich, wenn man sich erst einmal von dem Buch in seiner Gesamtheit, und seinem Anspruch, eine (unfehlbare) Heilige Schrift zu sein, vollständig lossagt - erst dieser Schritt ermöglicht nämlich die distanzierte Art des Lesens, die es dem kritischen Leser erlaubt, die Spreu vom durchaus vorhandenen Weizen zu trennen. Womit ich nicht behaupten will, daß nur Atheisten zu dieser Art des Lesens imstande sind, auch aufgeklärte, säkulare Christen sind selbstverständlich dazu in der Lage. Auch sie sollten daher auch einmal das komplette Riesenwerk lesen, um die Notwendigkeit, sich zu distanzieren, einzusehen (spätestens im Buch Josua wird das wohl jeder zivilisierte Leser tun). Aus diesen gründen gehört die Bibel in den Bücherschrank und sollte auch gelesen werden, aber nicht unbedingt als Heilige Schrift, sondern als Sammlung der Texte vieler verschiedener Autoren, wobei sowohl der ethische als auch der literarische Wert stark schwankt.